Mobile Stroke Unit beim Schlaganfall: Effekt lässt sich durch KI vorhersagen

Beim Schlaganfall zählt jede Minute. Wie sich mit der Mobile Stroke Unit im Ernstfall wertvolle Zeit gewinnen lässt, erklärt Neurologe Georg Royl im Interview.

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Frau mit Symptomen eines Schlaganfalls

(Bild: Tunatura/Shutterstock.com)

Lesezeit: 13 Min.
Inhaltsverzeichnis

Mobile Stroke Units (MSU) helfen im Falle eines Schlaganfalls, wie auch eine Metaanalyse in der Fachzeitschrift JAMA Neurology zeigt. Weltweit gibt es zahlreiche MSU-Projekte, in Deutschland bislang nur in Berlin und im Saarland. Woran das liegen könnte, erklärt der Neurologe Prof. Georg Royl vom Uniklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck im Gespräch mit heise online.

Er hat gemeinsam mit der KI-Technologieberatung Plan D im Raum Lübeck untersucht, wo eine solche MSU stationiert werden kann, um Schlaganfallpatienten der Region optimal zu helfen. Plan D hat dabei das Schlaganfall-Risiko mithilfe der Zensusdaten modelliert und die Fahrzeiten entsprechend kalkuliert. Laut Plan D konnte der Einfluss einer MSU-Einheit "aus Zensusdaten, Google Maps API und ML simuliert und optimiert werden".

heise online: Was können wir uns eigentlich unter einer Mobile Stroke Unit vorstellen?

Der Neurologe Prof. Dr. Georg Royl ist Oberarzt und Leiter der Stroke Unit am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck.

Georg Royl: Die MSU ist ein Konzept zur schnelleren Versorgung eines Schlaganfalls. Der Schlaganfall ist die dritthäufigste Todesursache in Deutschland und der häufigste Grund für eine Behinderung und Pflegebedürftigkeit im Erwachsenenalter und damit eine für die Gesellschaft relevante Erkrankung.

Bei den Schlaganfällen müssen wir unterscheiden: Es gibt die Schlaganfälle, die entstehen, weil ein Bluterguss im Gehirn passiert. Deutlich häufiger sind Schlaganfälle, die entstehen, weil an einer Stelle im Gehirn ein Blutgefäß verstopft ist und das Gewebe dort nicht versorgt wird. Dabei fällt zuerst die entsprechende Hirnfunktion aus, weil die Nervenzellen nicht mehr genug Energie haben, um zu arbeiten. In vielen Fällen kommt es zur kompletten Lähmung einer Körperseite, oft auch zu einer Sprachstörung. Die Zellen gehen auf eine Art Stand-by-Modus, können aber reaktiviert werden, wenn die Blutversorgung rechtzeitig wieder hergestellt wird.

Dafür gibt es zwei Therapiemöglichkeiten. Einerseits eine starke Blutverdünnung. Das Medikament ist so stark, dass es Gerinnsel auflösen kann. Gerade bei den schweren Schlaganfällen reicht das alleine oft nicht aus. Dann wird durch einen Spezialisten, einen Neuroradiologen, ein Katheter – ähnlich wie beim Herzkatheter – bis zu dem verschlossenen Blutgefäß vorgeführt. Mit verschiedenen Aufsätzen kann dann das verbleibende Blutgerinnsel mechanisch entfernt werden.

Beide Therapien gibt es, mal wird nur die eine gemacht, mal die andere und manchmal beide nacheinander. Im Grunde ist das so ein bisschen wie Klempnern, nur statt einer Rohrverstopfung wird eine Blutgefäßverstopfung behoben.

Behandlungsmöglichkeiten beim Schlaganfall: Thrombolyse und Thrombektomie

(Bild: Plan D)

Gerinnsel entfernen: Thrombolyse und Thrombektomie​

Thrombolyse und Thrombektomie stellen den Blutfluss zum Gehirn wieder her, nutzen aber unterschiedliche Methoden und Zeitfenster. Die medikamentöse Thrombolyse löst Gerinnsel auf und muss meist innerhalb von 4,5 Stunden erfolgen.

Die mechanische Thrombektomie entfernt Gerinnsel direkt und ist bis zu 24 Stunden nach Symptombeginn möglich. Thrombolyse eignet sich für mehr Patienten, Thrombektomie für größere Gerinnsel.

Wie kann die Mobile Stroke Unit (MSU) die Behandlungszeiten bei Schlaganfällen verkürzen und damit die Erholungschancen der Patienten verbessern?

Die Therapien müssen so schnell wie möglich erfolgen, damit möglichst wenige oder im besten Fall gar keine Nervenzellen absterben. Da kommt jetzt die Mobile Stroke Unit (MSU) ins Spiel. Es handelt sich hier um ein spezialisiertes Fahrzeug, das einen Computertomographen an Bord hat. Im Grunde könnte man das "Rohrfrei-Medikament", also die Thrombolyse, sofort verabreichen, wenn der Patient gelähmt ist und nicht mehr spricht. Es gibt allerdings Schlaganfälle, die durch einen Bluterguss im Gehirn hervorgerufen werden – das sind etwa ein Fünftel.

Dann ist es so, dass dort die gleichen Symptome vorliegen, aber diese entstehen nicht aufgrund der blockierten Blutversorgung, sondern weil dort plötzlich ein blauer Fleck entstanden ist, der auf das Nervengewebe drückt. Wenn ich bei dieser Art von Blutung, die eigentlich aufhören soll, ein blutverdünnendes Medikament gebe, dann verschlimmert es die Situation. Deswegen muss ich vorher genau wissen, wodurch der Schlaganfall verursacht wird, ob durch die Blutung oder durch das Gerinnsel. Dafür ist die Computertomografie (CT) notwendig.

Aber sind CTs nicht normalerweise nur in Krankenhäusern vorhanden?

Ja, normalerweise gibt es CTs nur im Krankenhaus. Ein CT ist dafür gedacht, den gesamten Körper zu untersuchen. Bei der MSU müssen wir Platz sparen, daher kommt dort ein kleines mobiles CT für den Kopf zum Einsatz. Die Kollegen in Berlin haben gezeigt, dass sich durch eine MSU eine halbe Stunde Zeit sparen lässt. Vor allem konnte aber kürzlich in zwei großen Studien gezeigt werden, dass die Wahrscheinlichkeit für ein Leben ohne Behinderung deutlich höher war, wenn der Schlaganfall mithilfe einer MSU behandelt wurde.

Wie wird in der MSU entschieden, welche Patienten eine weiterführende Behandlung benötigen, und welche Rolle spielt dabei die Technik?

Die Thrombektomie kann nicht in der MSU durchgeführt werden, aber es wird dort untersucht, ob dieser Patient eine Thrombektomie benötigt. Wenn ja, kann ich mit der MSU direkt in eine Klinik fahren, die eine Thrombektomie durchführen kann. Es gibt Kliniken, die Schlaganfälle behandeln, die Thrombektomie aber nicht oder nicht immer vor Ort verfügbar haben. In unserem Schlaganfallnetzwerk rufen uns die behandelnden Ärzte dann an und wir übernehmen den Patienten zeitnah.